Über die Wertschätzung der gesprochenen Sprache

Mittags klingelt es an der Tür. Ich weiß, es kann nur der Paketbote sein, deshalb sprinte ich los, um ein lang ersehntes Paket für die Nachbarn entgegenzunehmen. Über die Gegensprechanlage antwortet jemand auf mein freundliches: „Ja, bitte?“ mit einem hingenuschelten: „Debenne“. Ich bin irritiert, frage: „Bitte was?“, da höre ich schon den Türsummer, denn eine andere Nachbarin hat bereits mutig die Tür geöffnet. Einfach so, komme, wer da wolle, und sei es auch „Debenne“.

Das bringt mich einmal wieder dazu, darüber nachzudenken, welche Bedeutung wir der gesprochenen Sprache beimessen. Das beginnt bei einem „Debenne“, geht über das achtlos hingeworfene „Was’n?“ bis hin zum jugendsprachlichen „Geh ich Schule“ (gerade erst wieder in der U-Bahn gehört).

Als Lektorin beschäftige ich mich täglich mit dem geschriebenen Wort, deshalb habe ich ein feines Gespür für alles Schriftliche entwickelt. Doch in letzter Zeit meldet sich immer öfter mein „innerer Duden“ zu Wort, wenn ich mich unterhalte. Es muss ja nicht gleich die absolut korrekte Verwendung des Konjunktivs sein (wenngleich ich es liebe, mein Gegenüber mit dem Konjunktiv I zu verunsichern), aber vielleicht sollten wir alle ein wenig mehr darauf achten, was wir sagen und wie wir es sagen.

Unter dem Stichwort „umgangssprachlich“ verzeichnen die Wörterbücher viele Wendungen, die ich einem Autor sofort angestrichen hätte. Da wäre die Verwechslung von Genitiv und Dativ nur ein Beispiel von vielen. Umgangssprache ist eben die, die wir im Umgang mit anderen verwenden, sie ist locker, unbefangen, fließt einfach so und das ist an sich auch nicht verkehrt, denn wir wollen uns bei der Plauderei im Café einfach nur entspannen. Doch hört man einmal genau hin, schleichen sich die Fehler gerade durch den täglichen Sprachgebrauch in das Schriftliche ein. Was wir immer wieder hören, kann ja nicht falsch sein.

Ich glaube, wir sollten deshalb öfter mit gutem Beispiel vorangehen und achtsamer mit unserer Sprache umgehen. Wie viel einfacher hätten es manche Schüler, die Bücher öde finden, wenn sie von ihrer Umwelt den richtigen Sprachgebrauch ganz nebenbei erlernten? Und würde nicht manche Rechtschreibschwäche gemildert, wenn wir einfach deutlicher sprächen? Als Mutter eines Kleinkinds bemühe ich mich schon lange um deutliche und grammatisch korrekte Ausdrucksweise (ja, das ist auch irgendwie Berufskrankheit) in der Hoffnung, es möge auf Sprachgefühl und Ausdrucksweise abfärben.

Menschen, die gut und deutlich sprechen, werden gern gehört. Und es wird ihnen sicher die ein oder andere Tür eher offen stehen – ein leiser Wink an Herrn „Debenne“.

Übrigens: Wen die Auflösung des Rätsels um den Paketboten interessiert – es war ein Fahrer von DPD.

© Christiane Saathoff